Smarter Working© alexbrylovhk - Fotolia.com

Wir alle arbeiten zunehmend mobil und flexibel. Die gute Nachricht: Genau das macht uns nicht nur produktiver, sondern auch kreativer. Eine deprimierende, aber unbestreitbare Tatsache bleibt jedoch; keine Tätigkeit nimmt den modernen Menschen so sehr in Anspruch wie das Erarbeiten seines Lebensunterhaltes. An keinem Ort – für etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen ist es der Schreibtisch – verbringt er mehr wache Zeit. Effektiv ist das in der Regel nicht, denn Büromenschen verbummeln im Durchschnitt 2,1 Stunden pro Tag durch Ablenkungen.

E-Mail vs. Effizienz

Das vielleicht überzeugendste Experiment dazu veranstaltete der Psychiater Glenn Wilson (University of London), der drei Gruppen im IQ-Test antreten ließ. Eine Testgruppe war ungestört, die zweite wurde durch E-Mails und Telefonanrufe abgelenkt, die dritte hatte Marihuana geraucht. Erwartungsgemäß schnitten die Bekifften um durchschnittlich vier IQ-Punkte schlechter ab als die nüchternen Ungestörten. Das schlechteste Ergebnis erzielten jedoch die Abgelenkten: Wer zwischendurch E-Mails und Telefonanrufe bekam, lag noch mal sechs IQ-Punkte hinter den Testpersonen mit psychoaktiven Substanzen im Blut.

„E-Mail verursacht heute die meisten Probleme in unserem Arbeitsalltag“, fasst Karen Renaud von der Universität Glasgow eine Studie zusammen, für die sie die Computer von 177 Menschen überwachte. Die Probanden checkten ihr elektronisches Postfach bis zu vierzigmal pro Stunde. Ein Drittel gab an, sich durch die Masse an E-Mails und den Druck, diese schnell zu beantworten, gestresst zu fühlen.

Die University of California fand heraus, dass sich Wissensarbeiter durchschnittlich elf Minuten mit einer Aufgabe beschäftigen, bevor ihre Aufmerksamkeit durch einen Anruf, eine E-Mail oder Kollegen abgelenkt wird. Dann dauert es durchschnittlich 25 Minuten, bevor sie sich wieder der alten Aufgabe widmen können. Derweil kommen aber neue Aufgaben hinzu, die so wichtig scheinen, dass die alte vollkommen in Vergessenheit gerät. Der amerikanische Psychiater Edward Hallowell nennt die ständige Ablenkung im Büro „Attention Deficit Trait (ADT)“ – eine Folge kommunikativer Überlastung. Wer ADT hat, zeigt Symptome wie leichte Aggression, innere Unruhe und Konzentrationsstörungen.

Multitasking kostet Zeit und Geld!

Dass dieses permanente Büro-Multitasking Geld kostet, liegt auf der Hand. Für die US-Wirtschaft bezifferten Forscher des Beratungsunternehmens Basex den Schaden auf jährlich knapp 600 Milliarden Dollar. Wissenschaftler des Henley Management Colleges kamen nach der Befragung von 180 Führungskräften aus Deutschland, Großbritannien, Dänemark und Schweden zu dem Schluss, dass Manager im Durchschnitt allein dreieinhalb Jahre ihres Lebens mit unwichtigen oder überflüssigen E-Mails verplempern.

Ähnlich unproduktiv sind in der Regel die ewigen Meetings. Experten bestätigen, was wir eigentlich alle wissen. Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung: „Zieht man eine Sitzung in die Länge, wird die Chance immer größer, dass zweitklassige Lösungen vorgeschlagen und am Ende gewählt werden“. Scott Adams, der Erfinder der „Dilbert“-Comics, nennt ganz oben auf seiner Büro-Hassliste den Typen der „absichtsvollen Sadisten“. Diese setzen exzessiv lange Sitzungen an, egal zu welchem Thema, aber ohne klares Ziel. Es gibt keine Toilettenpausen (funktioniert am besten in Kombination mit Kaffee) und sie berufen Meetings am liebsten am Freitagabend oder in der Mittagspause ein. Um die Rolle eines absichtsvollen Sadisten zu spielen, so Adams, kombiniere man am besten Ernsthaftigkeit und Hingabe mit einer soziopathischen Geringschätzung für das Leben anderer Menschen.

Aber im Ernst: 20 bis 30 Prozent der Besprechungen könnte man sich allein deshalb schenken, weil der Chef eigentlich schon vorher weiß, welches Ergebnis er erreichen will. Dies hat die Kieler Managementberaterin Angelika Behnert herausgefunden. Bei einer Umfrage unter 800 leitenden Angestellten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gaben 61 Prozent der Befragten an, die meisten Meetings seien unproduktiv, wenn nicht ganz vergebens.

Büro ist Krieg

Viele kennen das: Nicht selten wird im Büro viel Energie darauf verschwendet, Arbeit zu vermeiden, Intrigen zu spinnen, Kollegen zu kritisieren und noch mehr darauf, über den Chef und überhaupt alles zu meckern. „Negative Emotionen sind hochgradig ansteckend“, sagt Christian Dormann, Organisations- und Wirtschaftspsychologe an der Universität Mainz in einem Interview mit der Wirtschaftswoche: „Das ist wie bei einem Virus.“ Es brauche nur eine kritische Masse an Griesgramen und Neurotikern im Betrieb, damit sich das gesamte Gruppenklima verschlechtert. Psychische Störungen sind mittlerweile die dritthäufigste Ursache für Krankmeldungen.

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„Büro ist Krieg“, so Stromberg-Darsteller Christoph Maria Herbst lakonisch. Etwas realistischer kann man wahrscheinlich festhalten: Büros sind – wie alle sozialen Kristallisationspunkte – in erster Linie Ort der Politik. Hier werden Karrieren verhandelt und Aversionen gepflegt. Hier spinnen wir Romanzen und pflegen Freundschaften.

Oder daddeln einfach nur an Computerspielen und versenden private E-Mails. Das muss nicht schlecht sein, im Gegenteil: Wenn wir schon so viel Zeit im Büro verbringen, dass es eigentlich unsere gesamte Lebenswirklichkeit und all unsere zwischenmenschlichen Kontakte definiert, dann dürfen wir dort auch lieben, hassen, spielen, flirten. Es behaupte nur keiner, dass es dabei in erster Linie ums Arbeiten geht.

Die Lösung? Smarter Working!

Die Lösung: „Smarter Working“, auch „New Ways of Working“ genannt, „Arbeit 4.0“ oder schlicht „mobiles und flexibles Arbeiten“. Dies zu praktizieren, bedeutet für Unternehmen, den stupiden Zeitzwang des Alltagstrotts durch Regeln zu ersetzen, die es Mitarbeitern ermöglichen, weitgehend zu kommen und gehen, wann sie wollen. Technologie einzuführen, die mobiles und kollaboratives Arbeiten komfortabel ermöglicht. Angestellte zumindest zeitweise vom Schreibtisch loskettet, aus der Monotonie des Tagesgeschäfts befreit. All‘ dies führt zu neuen Ideen, ungewöhnlichen Einfällen, kurz: zu mehr Kreativität, der Währung der Wissensgesellschaft.

Kreativität wird immer wichtiger, weil die großen Konzerne unserer Zeit in der Regel nicht mehr Stahl oder Beton produzieren, sondern Ideen und Patente. Selbst Autohersteller sind mindestens so abhängig von innovativen Ingenieuren wie von kompetenten Produktionsmitarbeitern. Die Art, wie wir arbeiten, hat sich fundamental gewandelt. Wir designen, programmieren, organisieren, vertreiben, verkaufen, verwalten und verdienen unser Geld mit dem Inhalt unserer Köpfe. Und weil wir seit der Theorie der schöpferischen Zerstörung des Wirtschaftswissenschaftlers Joseph Schumpeter wissen, dass der Kapitalismus seine Kinder frisst und sich permanent neu erfindet, ist Kreativität heute die Kernkompetenz fast jeden zeitgenössischen Berufes. Die kreative Klasse sorgt heute für wirtschaftliches Wachstum. Arbeitgeber und Regionen, die diese anspruchsvolle Klientel anziehen, sind die ökonomischen Gewinner.

Freizeit und Denkzeit

Für Teams und Manager bedeutet das einen Paradigmenwechsel vieler Vorstellungen von Leistung: Faulheit ist – anders als das Wörterbuch behauptet – nicht das Gegenteil von Fleiß, und Freizeit ist nicht der Feind der Arbeit. Phasen des selbstbestimmten Müßiggangs sind vielmehr notwendige Voraussetzung für Kreativität. „Arbeitgeber sehen es lieber, dass man vier Stunden herumsitzt und gar nichts schafft, als dass man für eine Stunde ein Nickerchen einschiebt, dem drei Stunden produktiver Arbeit folgen“, polemisiert der britische Schriftsteller Tom Hodgkinson, der mit seiner „Anleitung zum Müßiggang“ einen internationalen Bestseller schrieb. Diese Praxis sei aber nicht nur menschenfeindlich, sondern auch unvernünftig, denn: „Um Ideen zu entwickeln und dann zu planen, wie man diese Ideen umsetzen kann, benötigen kreative Menschen Denkzeit, und zwar fernab vom Schreibtisch, vom Telefon, von den abertausend Ablenkungen des Lebens.“

Ein Blick in die Geschichte der Arbeitsphilosophie herausragender Denker zeigt tatsächlich: Entspannt kommt weiter. Für Aristoteles war der Müßiggang die Schwester der Freiheit: „Arbeit und Tugend schließen einander aus.“ Albert Einstein erlaubte sich täglich zwölf Stunden Schlaf. Friedrich Nietzsche fand: „Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter.“ Und Goethe sah es aus ganz pragmatischer Perspektive der ökonomischen Effizienz: „Unbedingte Tätigkeit macht zuletzt bankrott.“

Smarter Working

Wir kennen das von uns selbst: Wer den ganzen Tag nur hektisch Aufgaben abarbeitet, wer zwischen E-Mails und Meetings keine freie Minute zum Nachdenken hat, wer auf diese Weise die Wochen, Monate und Jahre vorbeiziehen sieht, kommt schnell in eine Sinn- und Schaffenskrise: Wozu dieses Hamsterrad? Ich trage ja nicht mal etwas Konzeptionelles zu meinem Job bei. Die Entscheidungen werden eh woanders getroffen.

Spätestens, wenn uns dann eine Krankheit für ein paar Tage lahmlegt, merken wir, wie der kreative Teil unseres Hirns wieder warmläuft. Wir lesen Bücher, sprechen mit Freunden auch mal über etwas anderes als die Arbeit, freuen uns an ziellosen Spaziergängen, an langen Telefonaten, an der abwechslungsreichen Welt außerhalb unserer Bürozelle. Am Ende sind unsere geistigen Akkus wieder aufgeladen. Wir haben Pläne, Ideen, gute Vorsätze – die meist schnell wieder im Arbeitsalltag untergehen. Wie kommt es, dass wir uns mit einer abklingenden Grippe im Bett oft kreativer fühlen als im Büro?

Müßiggang für mehr Kreativität

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Für Psychologen besteht der kreative Prozess aus sechs Phasen, in denen sich der kreative Mensch zunächst „orientiert“, also Informationen sammelt. Dann folgt die Phase der „Inkubation“, in der er das Problem definiert und nach Lösungen sucht. In der dritten Phase der „Illumination“ erlebt er divergentes Denken, Offenheit und Aufregung. Während der „Verifikation“ wird die eigene kreative Leistung bewertet und mit existierenden Ansätzen verglichen. Schließlich folgen mit der „Kommunikation“ und der „Validation“ jene Phasen, in denen das neue kreative Werk anderen zugänglich gemacht, bewertet und entweder angenommen oder abgelehnt wird.

Kreativität hat also scheinbar widersprüchliche Voraussetzungen: Zurückgezogenheit und Kommunikation, einsames Denken und äußerer Input, Ruhe und öffentliche Diskussion. Weder stimmt das Klischee des einsiedlerischen Genies, das in der Isolation seine größten Werke schafft. Noch kann unter dem täglichen Dauerfeuer der Ablenkung, wie wir es am Arbeitsplatz erleben, wirkliche Kreativität entstehen. Nach Untersuchungen der Universität St. Gallen haben wir 80 Prozent unserer neuen Ideen außerhalb des Arbeitsplatzes, also zu Hause oder unterwegs.

Wer kreativ sein will, braucht abwechselnde Phasen intensiver Informationsaufnahme, einsamer Kontemplation und kommunikativer Auseinandersetzung mit anderen.

Das Problem: Der klassische 8- bis 10-Stunden-Arbeitstag mit Anwesenheitspflicht und Meetingzwang erlaubt den zweiten Schritt nicht: Die Inkubation – also zurückgezogenes Verarbeiten, das Innovation erst möglich macht – kommt zu kurz. Erst zeitlich und räumlich flexibles Smarter Working, das kollaborativen Austausch im Büro mit Phasen introvertierter Abwesenheit kombiniert, macht uns zu den von Medien, Experten und Arbeitgebern immer wieder beschworenen kreativen Mitarbeitern.


Markus AlbersMarkus Albers,
Autor von „Meconomy“ und dem Wirtschafts-Bestseller „Morgen komm ich später rein“, Berater und Unternehmer.
www.markusalbers.com

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