Kundenservice© Jakub Jirsák - Fotolia

Digitalisierung und Customer Experience

Wer heute noch den Anforderungen von gestern hinterherläuft, wird sich ranhalten müssen, die Anforderungen von morgen noch rechtzeitig erfüllen zu können.
Die Themen und Diskussionen sind nicht neu und doch scheint es zuweilen, ist die Erkenntnis, grundlegende Veränderungen im Denken und im Handeln anzugehen, in vielen Unternehmen noch nicht angekommen.

Handeln beginnt beim Denken

Und Handeln beginnt beim Denken. Organisationen, bei denen noch prestigeträchtige Großprojekte mit endlosen Projektmeetings – oft mit aufgeblähten Lenkungsgremien, in denen der Großteil der Teilnehmer vom Thema keine Ahnung hat, sich sowieso nicht bewegen will, doch unbedingt sein Ego hofiert haben muss – vorherrschen, werden die entscheidenden Maßnahmen nicht mehr umsetzen können. Warum? Weil sie zum einen intern nie die Mitarbeiter entwickelt haben, die sie jetzt bräuchten und zum anderen, weil sie auch nicht mehr die Mitarbeiter vom Markt bekommen, die sie jetzt und zukünftig notwendigerweise brauchen.

Die fünf Handlungsfelder

Hier entsprechen oft alle fünf Handlungsfelder nicht mehr den Anforderungen, die Mitarbeiter und Kunden erwarten. Denn was sich nicht geändert hat, ist die grundsätzliche Betrachtung dieser fünf Felder:

  • Menschen (Mitarbeiter aller Ebenen),
  • Organisation und Prozesse,
  • Technologien,
  • Arbeitsumfeld und
  • Outcome.

Und alle diese Bereiche sind natürlich in ihrer Innen- und Außenwirkung ganzheitlich zu betrachten.

Das neue Mindset

Ganzheitliche Betrachtung führt allerdings nicht zwingend dazu, gleichzeitig an allen Ecken Baustellen aufzureißen. Erforderlich ist es, einen grob skizzierten Überblick über die Erfordernisse zu entwickeln. Dieser wird und kann nicht komplett und abschließend sein, dafür verändern sich in wesentlich kürzerer Zeit als früher die externen Wirkungs- und Handlungsfaktoren.

Auf diesen Überblick können dann kleine, überschaubare Umsetzungsvorhaben gesetzt werden. Dabei gehören Scheitern (im Kleinen) und Korrekturen zum neuen Lernprozess. Vieles muss im Markt den Live-Einsatz bestehen und kann nicht mehr auf dem Reißbrett entwickelt werden. Eine Vorstellung, die mit traditionell verinnerlichtem Projektvorgehen bricht. Daher das erforderliche neue Mindset. Loslassen von Vertrautem und Betreten von Neuland, für das noch wenige Erfahrungswerte vorhanden sind. Dazu gehört eine gesunde Art von Mut, doch anders wird das neue Handeln nicht Fuß fassen können.

© Plantronics

Entwicklung des Kundenverhaltens

Gerade im Kundenservice entwickeln sich Nutzungsverhalten und Erwartungen in einer großen Bandbreite. Dies wird einerseits getrieben von technologischen Entwicklungen, die neue Möglichkeiten eröffnen, und andererseits von sehr unterschiedlichen Interessens- und Lebensentwürfen der Nutzer.
Damit (nicht nur) der Kundenservice bei der weiteren Entwicklung mithalten kann, gilt es, eben auch dort planvoll, viele kleine Umsetzungsschritte in kurzen Zeiträumen hintereinander anzugehen. Planvoll und dynamisch strategisch schließt Agilität nicht aus, im Gegenteil, wohl aber unkoordiniertes, hektisches und aktionistisches Vorgehen!

Was bedeutet dies nun an Handlungserfordernissen für den Kundenservice und die Customer Experience?

Customer Experience – Erfahrung oder (begeisterndes) Erlebnis?

Dazu eine Definitionsklärung: In meiner internationalen Arbeit bemerke ich immer wieder, wie unterschiedlich das Wort „Experience“ gedeutet wird. Im Englischen steht es sowohl für Erlebnis als auch für Erfahrung. Im deutschsprachigen Raum fällt mir auf, dass die Customer Experience sehr gerne mit Kundenerlebnis im Sinne von Begeisterung gleichgesetzt wird. Im englischsprachigen Raum ist das Verhältnis entspannter. Es geht erst einmal recht neutral um die Erfahrung, die Kunden mit dem Service machen und erst im zweiten Schritt darum, was sie erleben. Wobei so dargestellt auch „erleben“ wertungsfrei gesehen werden kann. Wichtig werden dabei die Adjektive, die wir dem Erfahren und Erleben beifügen. Erst so kann der Prozess und der „Outcome“ skaliert werden.

Handlungsfeld Mensch

Von meinen Kunden und vielen Mitgliedern des CCV höre ich immer häufiger, wie schwierig es wird, gute Mitarbeiter zu finden. Hier spielen für mich zwei Dinge zusammen: Zum einen der demografische Wandel, der immer weniger junge Menschen in den Arbeitsprozess bringt, zum anderen die gestiegenen Anforderungen an die benötigte Qualifikation. Contact Center moderner Prägung kommen damit zunehmend in Konkurrenz mit anderen Unternehmen um die gleichen Kandidaten. Dabei schneiden andere Branchen im Auge der Bewerber meist attraktiver ab, was die Aufgabe und ihre persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten anbelangt. Obwohl Bezahlung nicht der wichtigste Aspekt für die jungen Menschen ist, spielt er hier doch eine mitentscheidende Rolle. Contact Center liegen meist gut 20% unter den Verdienstmöglichkeiten der mitbewerbenden Branchen.
Zudem kennzeichnend für die Attraktivität sind das Arbeitsumfeld mit der Möglichkeit, sich aktiv einzubringen, sich zu entwickeln und dazulernen zu können sowie die Qualität der Führung. Gerade in der Kandidatenansprache und -aufnahme sind viele Contact Center leider noch immer weit von Professionalität und Willkommenskultur entfernt. Dazu brauchen wir auch in der Führung immer mehr Menschen, die in den Welten der Kunden zu Hause sind und eben die neuen Führungsqualitäten mitbringen. Führung von stärker eigenverantwortlich handelnden Mitarbeitern mit qualitativen Merkmalen und auch außerhalb des Centers arbeitenden Mitarbeitern erfordert neue Kompetenzen. Erst wenn der erforderliche Spirit intern entstanden ist, kann er auch in den Kontakten nach außen getragen werden. Und dies beginnt von Top.

Handlungsfeld Organisation und Prozesse

Mit den komplexeren Kommunikationsanforderungen werden auch größere Entscheidungs- und Handlungsspielräume für bestimmte Mitarbeiter erforderlich. Ich spreche hier bewusst nicht von den heute auch gängigen hochstandardisierten Massenprozessen. Viele von diesen werden in den kommenden Jahren zunehmend von smarten Self-Service-Lösungen abgelöst werden. Ich spreche von den künftig in den Vordergrund tretenden kanalübergreifenden Kommunikationsanforderungen. Gerade um diese auch zu den noch weiterhin bestehenden Projekten neu ins Portfolio aufnehmen zu können, ist es erforderlich, das Gesamtsystem neu zu denken oder unter Umständen die neue Welt zunächst in eigene Einheiten auszugliedern, um dort „auf der grünen Wiese“ neu und unbelastet aufsetzen zu können.

Vieles was heute sehr zentralistisch organisiert ist, wird für neue Anforderungen auch andere Organisationsformen und -wege benötigen. Nur so kann zukünftig Customer Experience als positive Erfahrung oder großartiges Erlebnis realisiert werden. Auch hier gilt es, Bewährtes loszulassen und neue Erfahrungen auf neuem Terrain zuzulassen.

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Handlungsfeld Technologien

Technologien spielen eine zentrale Rolle, ermöglichen sie doch erst viele neue und zunehmend mobil nutzbare Serviceangebote. Doch auch Virtual Reality Beratung und mehr wird, wo immer Mehrwerte und Alleinstellung erreicht werden kann, schnelle Verbreitung finden. Zudem erschließen sich auch intern neue Analyse- und Gestaltungsmöglichkeiten, Service einfacher zu individualisieren und gleichzeitig wirtschaftlich attraktiv zu gestalten.
Intelligente Auswertung von Big Data in Verbindung mit künstlicher Intelligenz, wie z.B. IBM Watson, wird bald viele neue Angebote ermöglichen. Ebenso kann die Masse an Kommunikationskontakten mit Speech Analytics zielgerichteter vorselektiert werden und damit bedarfsgerechte Trainings- und Coaching-Maßnahmen durchgeführt sowie Rückschlüsse auf weitere Optimierungspotentiale erkannt werden. Eine technische Unterstützungsmöglichkeit, die heute noch viel zu selten genutzt wird.

Handlungsfeld Arbeitsumfeld

Viele der neuen Services für die eben andere Mitarbeiter und Qualifikationen benötigt werden, erfordern auch entsprechend andere Arbeitsumgebungen. Für manche mag ein hoher Teamgeist erforderlich sein, für andere die hohe Flexibilität der Arbeitsplatzwahl, für die nächsten wieder andere Aspekte. Flexibilität in den Führungsfähigkeiten wäre eigentlich heute schon in vielen Unternehmen notwendig, ist allerdings viel zu selten wirklich anzutreffen. Sie wird für viele Bereiche unabdingbar in Zukunft noch wichtiger, da anderenfalls Mitarbeiter, die einen höheren Handlungs- und Gestaltungsspielraum ausfüllen sollen, sich nicht auf eine (längerfristige) Bindung einlassen werden.
Zum Arbeitsumfeld gehören eben sowohl die physische Gestaltung einer leistungsförderlichen Arbeitsumgebung wie auch die durch Führung und Zusammenarbeit erzielte erlebbare Wirkung.

Handlungsfeld Outcome

Alle vier bisherigen Handlungsfelder zahlen auf dieses ein. Erst wenn das Ergebnis (Outcome) für den Kunden attraktiv genug ist, um die vom Unternehmen kalkulierten Nutzungsziele zu erreichen, kann sich auch der wirtschaftliche Erfolg einstellen. Auch keine neue Erkenntnis. Allerdings wird die bisher oft gefahrene Strategie, Service möglichst billig zu produzieren, hier nicht mehr aufgehen. Service kann und darf sich hier als eigenständiges Produkt entwickeln, das seinen eigenen Preis rechtfertigen kann. Mittelfristig wird sich das Produkt mehr und mehr nur mehr als Anker positionieren, um das sich leistungs- und preislich skalierbare Serviceleistungen gruppieren und so zum eigentlichen Ertragsbringer avancieren.

Fazit

Auf dem Weg zu einer gelingenden Customer Experience in einem immer weiter digitalisierten und vielfältigeren Umfeld sind alle fünf Handlungsfelder auch weiterhin im Blick zu halten. Allerdings müssen in vielen Punkten bisher bewährte und etablierte Denk- und Handlungsmuster verlassen werden. Dabei gewinnt Servicedesign für Nutzungsfreundlichkeit und Anmutung eine zentrale Rolle, um das wichtige Alleinstellungsmerkmal zum Wettbewerb zu erzielen.
Dazu gehören auch, Risiken einzugehen, Rückschläge als Lernlektionen einzukalkulieren und evtl. vorherrschende Null-Fehler-Toleranzen aufzugeben. Ein gesundes Stück einer Start-up-Einstellung mag zudem für eine neue Beweglichkeit hilfreich sein.


Manfred StockmannManfred Stockmann ist Managementberater und Mentalcoach für Persönlichkeitsentwicklung. Er beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Themen der Personal- und Organisationsentwicklung. Mit seiner 2002 gegründeten C.M.B.S. Change Management Beratung & Coaching begleiten er und sein Team Entscheider und deren Unternehmen in sensiblen Veränderungsprozessen.

ms@cmbs.de
www.cmbs.de

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